Branding Insights: VDM Metals
1.12.2025
VDM Metals hat den Wandel vom Konzernunternehmen zur eigenständigen Marke genutzt, um sich neu und mutig zu positionieren. Zehn Jahre später zeigt sich: Das Design ist noch immer tragfähig – zeitlos, flexibel und fest verankert bei Kunden wie Mitarbeitenden. Wir haben mit den Marketingverantwortlichen darüber gesprochen, was es braucht, damit ein solcher Markenrelaunch gelingt.
Auslöser für den Markenrelaunch
arndtteunissen: Am Anfang jedes Markenprozesses steht die entscheidende Frage nach dem „Warum“. Wie kam es damals dazu, dass Sie das Corporate Design von VDM Metals grundsätzlich neu aufgestellt haben?
Silke van Os: Man muss die Historie kennen: Wir gehörten lange zu ThyssenKrupp. Nach dem Verkauf sollten wir einen neuen Namen und ein eigenes Design entwickeln. Endlich durften wir uns frei positionieren. Die Stahlbranche ist sehr konservativ, dominiert von Blau und Grau – wir wollten bewusst moderner auftreten, weil VDM innovativ, zukunftsgewandt und gleichzeitig traditionsreich ist. VDM war ein „Hidden Champion“ in seiner Spezialsparte, trotz des Milliardenumsatzes.
Philipp Verbnik: Stimmt, nach rund 25 Jahren im Konzern war das ein Bruch. Die Identifikation mit ThyssenKrupp war hoch, aber wir durften den Namen nicht weiterführen. Plötzlich stand die Frage im Raum: Wie heißen wir künftig, wie treten wir auf? Fürs Marketing war das eine spannende Chance.
Silke van Os: Den Namen „VDM“, ein Kürzel von „Vereinigte Deutsche Metallwerke“, wollten wir unbedingt behalten. Es ist in der Branche bekannt und die Mitarbeitenden identifizieren sich stark damit. Die Frage war: Wie machen wir ihn moderner und unverwechselbarer?
Benjamin Arndt: Aus der Anfrage, die zunächst wie eine Standardausschreibung wirkte, entwickelte sich schnell ein gemeinsames Verständnis, dass es um mehr ging als um Designvorschläge – nämlich um strategische Grundlagen. Und ich glaube, das hat dann damals auch überzeugt. Entscheidend war auch, dass die Geschäftsführung begeistert mitgezogen hat. Das hat sicherlich einiges an Vorarbeit Ihrerseits gekostet. Aber das haben Sie gut hinbekommen – alle haben engagiert mitgearbeitet und ihre Themen eingebracht.

Markenstrategie und Implementierung
arndtteunissen: Ein Markenrelaunch braucht Rückhalt von ganz oben. Wie gelingt es, die Geschäftsführung von einem solchen Vorhaben zu überzeugen?
Silke van Os: Man sollte die eigene Marke im Wettbewerbsumfeld spiegeln: Wenn sich alles verändert, die eigene Marke aber alt wirkt, entsteht ein falsches Bild. Ein Logo oder Design ist ein klares Signal nach außen – es zeigt, ob ein Unternehmen modern und zukunftsorientiert ist oder nicht. Deshalb ist ein Relaunch kein Luxus, sondern notwendig, wenn man seit Jahrzehnten mit demselben Auftritt arbeitet und Gefahr läuft, als „altbacken“ wahrgenommen zu werden, obwohl man es gar nicht ist.
arndtteunissen: Bevor ein neues Design entsteht, braucht es eine klare Strategie. Wie sind Sie diese Phase damals angegangen und welche Schritte waren besonders wichtig?
Silke van Os: Wir haben früh festgelegt, wo wir hinwollen und Kolleg:innen aus allen Bereichen eingebunden – Geschäftsführung, Vertrieb, Produktion. So war die Identifikation groß und es kam Input aus verschiedenen Perspektiven – es wurde nichts von oben übergestülpt.
Philipp Verbnik: Exakt. Man braucht gute Argumente und muss selbst überzeugt sein. Nicht beim ersten Gegenargument einknicken. Wir sind das Thema Change Management fast lehrbuchmäßig angegangen: Beschäftigte aus allen Hierarchieebenen und Standorten wurden einbezogen – ein zentraler Ansatz, den arndtteunissen stark betont und der sich bewährt hat.
arndtteunissen: Ein neues Design muss viele Erwartungen erfüllen – strategische, emotionale und ganz praktische. Welche Anforderungen haben Sie damals an den neuen Auftritt gestellt?
Philipp Verbnik: Nachdem der Name gesetzt war, konnten wir gemeinsam im Workshop die Markenwerte definieren: Erfahrung, Innovation, Kundennähe, Zuverlässigkeit. Auch banale Fragen wie „Ist VDM rund oder eckig?“ wurden diskutiert. Am Ende war klar: Wir sind rund, offen, nahbar. Wir haben bewusst nicht auf Tradition und Historie gesetzt. Auch das uralte VDM-Logo aus den 1950er Jahren, die sogenannte Triangel, passte nicht mehr.
Silke van Os: Wir wollten ein Design, das praktisch funktioniert – von Broschüren bis zu Messewänden. Wichtig war auch, dass die Schriftarten überall verfügbar sind, ohne großen technischen Aufwand.
Benjamin Arndt: Das Design ist im Grunde direkt aus dem Produkt heraus entstanden. Wir haben uns gefragt: Wie lassen sich die gewalzten Coils, die in der Produktion entstehen, visuell übertragen? Diese Idee war der Ausgangspunkt – und sie macht das Ergebnis bis heute besonders. Denn im Vergleich zum üblichen Industrie-Design, das oft sehr austauschbar wirkt, ist hier etwas Eigenständiges entstanden. Auch die Farbigkeit trägt dazu bei: Orange steht für die Warmphase, Blau für die Kaltphase der Metalle. Daraus wurde eine starke Story, die man weltweit erzählen kann – bis heute.
arndtteunissen: Ein Markenrelaunch ist spannend, bringt in der Umsetzung aber oft Stolpersteine mit sich – von internen Widerständen bis hin zu Detailfragen im Design. Welche besonderen Herausforderungen haben Sie in diesem Prozess erlebt?

„Wir mussten natürlich unserer Geschäftsführung das fertige Design vorstellen. Ich erinnere mich noch ziemlich genau daran: Es war orange! So etwas hatte es in der Stahlindustrie noch nie gegeben – das war schon eine Herausforderung und stieß auf Skepsis.“Silke van Os
Philipp Verbnik: Genau, nicht alle waren von Anfang an begeistert, im Gegenteil: Gerade die Farbe Orange war sehr umstritten und hat auch bei den vielen Kolleg:innen für Kritik gesorgt. Wir haben es natürlich verteidigt – die Geschichte hat dabei sehr geholfen. Zudem haben wir eine Roadshow gemacht – an allen Standorten, mit Gewinnspielen, kleinen Goodies, Gesprächen. Es hat vielleicht ein gutes halbes Jahr gedauert, dann standen die Leute auch dahinter. Ich würde sagen, dass genau dieser Prozess in erheblichem Maße zur Herausbildung einer Corporate Identity, zu einer neuen Loyalität sowie einer Neuverortung von VDM geführt hat.
Benjamin Arndt: Stimmt, ich erinnere mich noch gut an die Roadshow: Als die Leute morgens zum Schichtwechsel ins Werk kamen, gab es eine Goodie-Bag, unter anderem mit einem Helmaufkleber. Gerade solche kleinen Aktionen machten die Marke direkt greifbar. Damit kam man ins Gespräch, und das war wichtig. Ich glaube, dass dieses halbe Jahr, betrachtet man die Gesamtmarke und den weltweiten Einfluss, ein absoluter Sprint war. Es ist also perfekt gelungen.
arndtteunissen: Ein einheitlicher Markenauftritt ist besonders in international aufgestellten Unternehmen eine Herausforderung. Wie haben Sie den weltweiten Rollout organisiert und umgesetzt?
Silke van Os: Wir haben Materialien in mehreren Sprachen bereitgestellt – Broschüren, CDs mit Vorlagen, Give-aways. Die lokalen Teams konnten so eigene Rollouts gestalten. Zusätzlich haben wir vor dem Rollout die jeweiligen Führungskräfte in den Ländern geschult und standen mit Rat und Tat zur Seite. Aber alles in allem ist das recht reibungslos verlaufen.
Philipp Verbnik: Es wurde zum Glück ein Selbstläufer. In den USA zum Beispiel wurden sogar Besprechungsräume in unseren Farben gestrichen. Die Anforderungen der großen asiatischen Märkte wie China, Japan und Korea hatten wir ja z. B. mit Auswahl der Schriftfamilie von Anfang an berücksichtigt.
arndtteunissen: Ein neuer Markenauftritt fällt nach innen wie nach außen sofort auf. Welche Reaktionen haben Sie von Mitarbeitenden, Kunden oder Partnern erlebt?
Philipp Verbnik: Nach innen stieg der Stolz enorm. Wer die Marke innen lebt, strahlt das automatisch nach außen. Extern wurden wir als innovativer und hochwertiger wahrgenommen. Wenn man bei uns jetzt an den Messestand kommt, sieht man auch optisch, dass das ein innovatives Unternehmen ist.
Silke van Os: Wir bekommen bis heute immer noch positives Feedback. Der stärkste Wert ist für mich der Stolz der Mitarbeitenden. Wenn sie sich mit der Marke identifizieren, ist das unbezahlbar.

Wert einer starken Marke
arndtteunissen: Zehn Jahre sind im Corporate Design eine lange Zeit. Weshalb glauben Sie, funktioniert das Design bis heute?
Silke van Os: In meinen Augen ist das Design ansprechend, schlicht und zeitlos. Wir haben klare Leitplanken und Definitionen, aber das System ist nicht starr – es lässt sich flexibel an moderne Anforderungen anpassen. So konnten wir es beispielsweise nahtlos in Social Media übertragen, obwohl diese Anforderung vor zehn Jahren noch nicht existierte.
Philipp Verbnik: Das stimmt. Wir haben wenige, aber klare Regeln aufgestellt – das gibt Orientierung und gleichzeitig viel Spielraum. Es ist überschaubar – leicht zu merken und auch für Externe schnell nachvollziehbar. Genau das macht das System so erfolgreich.
Benjamin Arndt: Heute reicht schon ein Farbakzent von VDM, um in der Branche erkannt zu werden. Ich glaube, wenn man so ein Design entwickelt, das so lange hält, dann kann man irgendwann von einer ikonischen Marke innerhalb einer Branche sprechen – und das trotz mehrerer Verkäufe und Investoren in all den Jahren. Da ist ein ganz großer immaterieller Wert entstanden für das Unternehmen, der kaum zu bemessen ist. Also ich glaube, sollte das Unternehmen nochmal weiterverkauft werden, wird man immer sagen können, es ist ein sehr, sehr wertvolles Unternehmen, nicht nur von den kaufmännischen Zahlen, sondern auch von der Markenbekanntheit. Marketingausgaben sind oft die günstigsten Investitionen mit der größten Langzeitwirkung, das wird oft unterschätzt.
arndtteunissen: Eine starke Marke ist mehr als Logo und Farben. Worin liegt für Sie ihr wahres Erfolgsgeheimnis?
Silke van Os: Sie schafft Vertrauen und Stolz – innen wie außen. Und sie lebt von Menschen, die sie tragen. Eine Agentur für Employer Branding hat uns bestätigt: Unsere Mitarbeitenden sind stolz, bei VDM Metals zu arbeiten – und genau das ist wohl der höchste Wert einer Marke. Sie wissen, dass sie Sicherheit haben und gleichzeitig das tun, was sie am besten können.
Philipp Verbnik: Eine starke Marke ist unbezahlbar – doch gerade Zahlenmenschen fällt es schwer, ihren Wert zu messen. Budgets für solche Prozesse freizukämpfen erfordert daher viel Überzeugungskraft.
Silke van Os: Die entscheidende Frage lautet: Was kostet es, wenn wir es nicht tun? Eine unbekannte Marke hat es schwer, Produkte erfolgreich am Markt zu platzieren – besonders in konservativen Branchen wie Aerospace, wo Vertrauen und Zertifizierungen entscheidend sind. Genau hier zahlt sich eine starke Marke aus.
Benjamin Arndt: Eine starke Marke wie VDM lebt von Reduktion und Klarheit – dadurch bleibt sie anpassungsfähig. Einzelne Touchpoints können modernisiert werden, etwa durch eine Website oder durch neue Technologien. Doch die Kernform – Typografie, Farben, Logo – sollte unverändert bleiben. Anpassungen sind eher inhaltlicher Natur.
arndtteunissen: Aus Ihrer Erfahrungen lassen sich sicher auch Learnings für andere ziehen. Was würden Sie Unternehmen oder Marketingabteilungen empfehlen, die vor einem ähnlichen Markenrelaunch stehen?
Silke van Os: Von Beginn an war uns wichtig, eine möglichst große Vielfalt an Mitarbeitenden in den Markenstrategie-Prozess einzubeziehen – gerade bei der Werte-Ermittlung: Wofür stehen wir? Was bleibt, was darf gehen, und wohin wollen wir in Zukunft? Entscheidend ist, die Menschen auf ihrem eigenen Interessensgebiet abzuholen, ihre Fragen ernst zu nehmen und auf Ängste und Unsicherheiten einzugehen. Darauf waren wir sehr gut vorbereitet. Wir haben uns den Fragen und Diskussionen gestellt und sind ihnen nicht ausgewichen. Letztlich fühlen sich die Beteiligten ernst genommen und fungieren als interner Markenbotschafter, da sie ja am Entstehungsprozess beteiligt waren.

„Beim Launch war entscheidend, alle Beschäftigten aktiv einzubeziehen – nicht mit symbolischen Gesten wie neuen Tassen auf dem Schreibtisch, sondern durch direkte Begegnung, Dialog und kleine Aktionen wie Gewinnspiele oder Goodies. So konnten Kritik aufgenommen, Zustimmung bestärkt und die Belegschaft im 1:1-Gespräch wirklich mitgenommen werden.“Philipp Verbnik
Zusammenarbeit
arndtteunissen: Ein solches Projekt gelingt nur, wenn Agentur und Unternehmen gut zusammenarbeiten. Was zeichnet für Sie eine erfolgreiche Agentur-Kunden-Beziehung aus?
Philipp Verbnik: Vertrauen, Offenheit und Bereitschaft, auch Konflikte konstruktiv zu lösen. Ich glaube, entscheidend war Vertrauen. Ihr habt keinen schnellen Logo-Entwurf präsentiert, sondern den Weg über Workshops vorgeschlagen. Am Ende ging es auch um die Frage: Trauen wir euch das auch auf persönlicher Ebene zu? Wichtig war außerdem, offen reden zu können – auch Konflikte und Rückkopplungen gehörten dazu.
Benjamin Arndt: Absolut, es ist ein gemeinsames Ringen um die beste Lösung. Mal setzt sich die eine, mal die andere Seite durch. Entscheidend ist das nötige Vertrauen von Kundenseite. Der wohl schönste Moment war, als der damalige Abteilungsleiter Jan Bender, ohne dass wir es abgesprochen hatten, dem CEO in unserem Beisein die Marke perfekt vorgestellt hat. Das war eine der tollsten Momente, in dem man gespürt hat, dass wir da zusammengewachsen sind und gemeinsam für eine Sache rennen und gemeinsam Bock drauf haben.
Stolz und Identifikation
arndtteunissen: Nach all den Diskussionen, Entscheidungen und Umsetzungen: Was sind für Sie die Momente oder Ergebnisse, die Sie bis heute mit Stolz erfüllen?
Silke van Os: Ich hatte so einen stolzen „Aha Moment“ auf dem „Capital Markets Day“ unserer heutigen Muttergesellschaft Acerinox vor zwei Jahren bei VDM in Unna. Es waren Journalisten und Finanzexperten dort in einer Halle die wir aufgebaut haben und sollten eine Führung bekommen. Und dort stand unsere Mannschaft, alle in alle in blau- oranger Arbeitskleidung – das Bild ist für mich so prägend –, mit einem Helm auf, mit einem VDM Logo und warteten auf ihre zehn Leute, die sie dann durch die Produktion geführt haben. Und da habe ich gedacht: „Das ist eine starke Mannschaft, du gehörst dazu, top!“ Da stimmte einfach alles und es war klar: Sie leben die Marke.
Philipp Verbnik: Ich denke, der Relaunch war die Initialzündung für ein neues Selbstverständnis. Heute tragen die Leute die Marke an allen Standorten. Es gab noch diesen Slogan, „Wir alle sind VDM“, den hat mal unser Geschäftsführer geprägt, den haben Kollegen mit einer Schablone an die Wand gesprayt. Das sind so Beispiele, die einen wirklich im Kleinen und Großen stolz machen. Das Marketing bei VDM hat heute einen ganz anderen Stellenwert als früher. Heute kommen andere Abteilungen aktiv auf uns zu und bitten um Unterstützung, damit ihre Materialien zum Markenauftritt passen. Das zeigt ein neues Markenbewusstsein.

In dieser Reihe sprechen wir mit Unternehmen, die in den vergangenen Jahren einen Markenrelaunch gewagt haben. Warum haben sie diesen Schritt unternommen? Welche Herausforderungen brachte er mit sich? Und wie wirkt die Marke heute – intern wie extern? Diesmal: VDM Metals.