Wie finde ich eine neue Branding-Agentur für unser Unternehmen? Sinnvolle Alternativen zum überholten Pitch-Prozess

Zwei Mitarbeiter von arndtteunissen leiten einen Workshop für Kunden

1.2.2024

Die Agentur arndtteunissen nimmt seit 15 Jahren nicht mehr an unbezahlten bzw. anonymen Ausschreibungen teil. Inhaber Benjamin Arndt erklärt die Gründe und nennt Vorschläge.

Das ist der Ausgangspunkt: Die Geschäftsführung hat zusammen mit der Marketingabteilung entschieden, das Erscheinungsbild des Unternehmens überarbeiten zu lassen. Nun stehen die Beteiligten vor der Aufgabe, einen neuen Dienstleister, sprich: eine neue Agentur zu finden. Das ist keine alltägliche Herausforderung. Sie stellt sich in der Regel nur alle paar Jahre. Daher kommt es, dass viele Unternehmen nicht sonderlich erfahren darin sind, eine kreative Dienstleistung sinnvoll und zum Vorteil des eigenen Unternehmens auszuwählen. So hart es auch klingen mag: In den vergangenen 15 Jahren haben wir als Agentur unzählige Anfragen zu Ausschreibungen auf den Tisch bekommen, deren Form und Inhalt erahnen ließen, dass wenig bis keinerlei Vorwissen zum Kreativeinkauf vorhanden ist.

Übliche Praxis ist – seit vielen, vielen Jahren – der Pitch. Also das wenig verbindliche Anfragen diverser Dienstleister, die dann in den meisten Fällen kostenlose Vorschläge unterbreiten sollen. Das Unternehmen sucht sich dann jene Idee und Agentur aus, die ihnen am besten gefällt. Der Vollständigkeit halber muss erwähnt werden, dass natürlich auch der Preis eine gewichtige Rolle spielt. In den meisten Fällen dürfte er sogar das Hauptkriterium sein, insbesondere bei öffentlichen Ausschreibungen.

Problembehafteter Prozess

Was auf den ersten Blick ganz plausibel und fair erscheinen mag, ist häufig ein problembehafteter Prozess. Dieser soll in diesem Artikel näher beleuchtet werden. Zugleich möchte ich Vorschläge machen, wie man es für alle Seiten besser gestalten könnte, um die berühmte Win-Win-Situation zu schaffen. Denn zusammen können die zwei Parteien Großartiges leisten.

Wie oben angesprochen, werden meist „unzählige“ Agenturen angefragt und Entwürfe eingefordert – teils ohne Vorgespräche. Briefings sind unvollständig, benötigte Inhalte zur Erarbeitung fehlen. Das offerierte Zeitfenster ist meistens zu knapp oder komplett unrealistisch. Zum Glück mussten wir nur bei wenigen Anfragen die Bedingung lesen, dass wir alle Rechte der Entwürfe bei Teilnahme an das Unternehmen abtreten sollen – natürlich kostenfrei oder für geringe Pitch-Honorare (maximal 5.000 Euro). Solche und ähnliche Forderungen sorgen natürlich nicht für ein Übermaß an Begeisterung. Dahinter stehen meiner Meinung nach keine „bösen Absichten“, sondern lediglich Unwissenheit und mangelnde Erfahrung.

Keine Top-Ergebnisse auf dieser Basis

Für Agenturen ist es ein großes Risiko, sich an derartigen Ausschreibungen zu beteiligen. Man weiß nicht genau, wie viele Agenturen daran teilnehmen – also wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, den Auftrag zu bekommen. Darüber hinaus ist die Vorab-Entwicklung von konkreten Lösungen extrem zeitaufwändig. Bei manchen Ausschreibungen wird sogar direkt ein komplettes Konzept erwartet. Wenn die Parameter aber noch gar nicht feststehen und man den Kunden und seine konkreten Wünsche und Ziele gar nicht kennt, wird das ganze zu einer Lotterie. Genau hierhin wittern gerade unerfahrene Agenturen häufig die Chance auf einen großen Auftrag. Gleichzeitig sind es oft die großen Agenturen, die mit Praktikanten oder Freelancern eine Lösung anbieten, um beim Wettbewerb dabei zu sein. In jedem Fall ist es aus meiner Erfahrung so, dass die gelieferten Ergebnisse meist nicht dem entsprechen, was sich der Kunde wirklich wünscht.

Viel Wirtschaftsleistung wird verbrannt

Hier noch ein kurzer Exkurs zu den Kosten: Bei einem Wettbewerb mit fünf Agenturen gibt es logischerweise vier Verlierer. Und wenn diese Vier jeweils 100 Arbeitsstunden in so eine Ausschreibung hineinstecken – mit einem durchschnittlichen Arbeitszeitwert von 120 Euro die Stunde – werden 48.000 Euro Wirtschaftsleistung verbrannt. Den unmittelbaren Schaden haben die Agenturen. Die Unternehmen leiden indirekt. Wollen sie doch engagierte Agenturen, im besten Fall Partner für viele Jahre gewinnen, die kreative Top-Leistung für sie erbringen. So eine Ausschreibung ist kein besonders sinnvoller und vertrauensvoller Start. Kreativität entsteht unter anderen Bedingungen.

Unklare Pitches: Ein Erfahrungsbericht

An dieser Stelle möchte ich von einer herausfordernden Erfahrung berichten, die wir bei einem Pitch mit einem angesehenen deutschen Bauunternehmen gemacht haben. Dieses lud uns zur Teilnahme ein, gestand jedoch, keine klare Vorstellung von der Auswahl einer Agentur zu haben und präsentierte ein unprofessionelles schriftliches Briefing. Die Ausschreibung enthielt keine Informationen zum Honorar, zur Teilnehmerzahl und hatte unrealistische Timings. Diese mangelnde Vorbereitung seitens des Kunden zwang mich dazu, einen Feedbackcall zu initiieren, um essentielle Details zu klären. Der gesamte Prozess offenbarte die Unerfahrenheit des Kunden in der Agenturauswahl, was bei uns zu einem erheblichen Mehraufwand führte.

Beim Rebriefing verlangte der Kunde bereits Skizzen für eine neue Marke und einen Namen – und das für ein Agenturhonorar von nur 1.000 Euro, ohne ein Gesamtbudget anzugeben. Ich schlug einen Workshop vor, um Anforderungen zu klären, bevor seriöse Angebote erstellt werden konnten. Die Reaktion der Marketingchefin und der Projektleitung war ablehnend, unprofessionell und arrogant. Als Agentur können wir nicht akzeptieren, dass Kunden ihre unklaren Anforderungen in unsere Verantwortung verlagern und erhebliche Vorleistungen verlangen. Die Frage des Kunden, wie man sonst Agenturen finden solle, unterstreicht die Unsicherheit vieler Kunden bei der Auswahl.

Es geht um Wertschätzung

Weitere wichtige Aspekte sind Wertschätzung und Loyalität. Wenn eine Agentur zu einer Ausschreibung wie einem klassischen Pitch eingeladen wird, freut sich eigentlich niemand. Von Anfang an herrschen Misstrauen und Unsicherheit: Haben wir überhaupt eine Chance? Ergibt sich eine Teilnahme, stellen wir schnell irgendwas zusammen und kassieren das Pitch-Honorar nach dem Motto „Nach uns die Sintflut“? Oder riskieren wir es, viel Herzblut hineinzustecken, um am Ende eine Absage per E-Mail zu erhalten? Das sind typische Fragestellungen in den Agenturen. Daher sollte man den Gedanken zulassen, dass es der Agentur nicht nur um die Wirtschaftlichkeit ihrer Arbeit geht. Kreative Menschen leben für ihren Job. Sie erfüllen kreative Aufgaben mit Leidenschaft und Herzblut. Es tut ihnen weh, wenn Kreativität nicht wertgeschätzt wird. Wenn der Prozess einer Anfrage für Kreativ-Leistungen respektvoll und fachlich korrekt beginnt, ist die Agentur deutlich motivierter und hat direkt eine andere Einstellung zur Anfrage. Kurz: Umso vertrauensvoller und professioneller die Anfrage und der Austausch gestalten sind, umso mehr bekommt das Unternehmen von der Agentur für das gleiche Geld und den gleichen Zeitaufwand.

Was also könnte die Lösung sein? Wie lassen sich Agenturen und Unternehmen sinnvoll miteinander verbinden, um Top-Leistungen zielgerichtet abzubilden? Aus unserer Perspektive war eine Ausschreibung noch nie eine gute Lösung – weshalb wir seit knapp 15 Jahren an keiner Ausschreibung mehr teilgenommen haben. Hier ein alternativer Vorschlag: Wie wäre es, wenn die Unternehmen drei bis maximal vier Agenturen zu einem ersten Gespräch per Video oder „in der echten Welt“ einladen würden, um ein echtes Kennenlernen zu ermöglichen? Am besten wäre übrigens ein Termin vor Ort in der Agentur. Denn Räumlichkeiten verraten viel über den Spirit.

Großer Vorteil für Auftraggeber

Der große Vorteil für die Unternehmen läge darin, dass sie nicht eine viele Seiten lange Projektbeschreibung oder Ausschreibung formulieren müssten: Eine erfahrene Agentur erarbeitet sich das Briefing durch das Gespräch oder später stattfinde Workshops ganz von alleine. Dabei macht die Agentur auf Aspekte aufmerksam, an die das Unternehmen gar nicht gedacht hat. Und so würde das Briefing erst wirklich vollständig und umfangreich werden.

Sollte nach den ersten Gesprächen noch keine finale Entscheidung getroffen sein, könnte man beispielsweise mit den zwei favorisierten Agenturen einen halbtägigen Workshop vereinbaren. In diesem ließe sich mit Hilfe von Kreativmethoden an einer konkreten Aufgabenstellung arbeiten. Dabei geht es dann am Ende nicht so sehr um das finale Ergebnis, sondern vielmehr um den Prozess: So arbeitet die Agentur – passen wir zusammen? Für einen üblichen Tagessatz könnte man auch eine Brainstorming-Session abhalten: Unternehmen könnten ein paar ausgewählte Agenturen dafür bezahlen, dass sie ihre Ideen und Perspektiven zu einem bestimmten Thema oder Projekt teilen. Auf diese Weise würden Agenturen für ihre Zeit und Mühe bezahlt, ohne dass sie konkrete kreative Arbeit liefern müssen.

Tausende Euros sparen

Solch ein kommunikativer Austausch über Gespräche und Workshops reicht den Unternehmen unserer Erfahrung nach aus, um eine gute Entscheidung treffen zu können. Das dabei noch Kosten, beziehungsweise Angebote eine Rolle spielen, versteht sich von selbst. Allerdings liegen vergleichbare Agenturen diesbezüglich oft nicht weit auseinander. Apropos: Hätten die drei bis vier angeschriebenen Agenturen für den Pitch beispielsweise 5.000 Euro je Team bekommen, hätte der Kennernlernprozess mit 20.000 Euro zu Buche geschlagen. Eine beachtliche Summe, die sich das Unternehmen leicht hätte sparen können.

Ich plädiere dafür, dass Unternehmen und Agenturen mehr miteinander sprechen. Kreativ-Leistungen werden nicht über klassische Einkaufsabteilungen eingefordert und eingekauft (Preisvergleich, Leistungsvergleich). Hier geht es vielmehr um den zwischenmenschlichen Austausch, um vertiefende Gespräche und die Definition von Zielen. Klar, die Kompetenz muss man der Agentur aufgrund ihrer Referenzen zutrauen. Man muss sich kennenlernen, um sinnhaft miteinander arbeiten zu können und auf dieser Basis optimale Lösungen zu finden. Dieser Prozess beginnt immer mit einer Kommunikation auf Augenhöhe.

Benjamin Arndt

„Komplexe Dienstleistungen wie Design entstehen nicht im luftleeren Raum, sondern durch die professionelle Auseinandersetzung mit einer Fragestellung – und zwar in der Zusammenarbeit von Kreativen und Auftraggebenden. Der Designprozess ist ein kommunikatives Hin und Her, bis das Ziel klar, der Weg bekannt und die Lösung konkret wird. Vertrauen, Offenheit und Zeit sind die Komponenten, die es dafür benötigt. Die Lieferung von Ideen, Konzepten und grafischen Umsetzungen gleich mit einer Angebotserstellung durch den so genannten „Pitch“ kann daher nicht funktionieren. Der BDG ist gegen un- oder schlecht bezahlte Spec-Work. Dass der Weg, sich einen Partner für die Aufgabe zu suchen, der erfolgreichere für beide Seiten ist, zeigt unter anderem die Agentur arndtteunissen.“
Claudia Siebenweiber und Simon Wehr, BDG Berufsverband Kommunikationsdesign